The Berlin Diaries: Urlaub im Wartezimmer (Teil 2)

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URLAUB IM WARTEZIMMER (Teil 2)

Ohne großartig darüber nachzudenken, zücke ich mein Portemonnaie, organisiere das nötige Kleingeld und steuere auf den Getränkeautomaten in der linken Ecke des Wartezimmers zu. Es gibt stilvolle Pappbecher, und wie es sich für ein renommiertes Urlaubsresort auf ›Optimismus Island‹ gehört, hat man die Qual der Wahl zwischen verschiedenen flüssigen Gaumenfreuden. Es gibt sogar eisgekühlten Orangensaft, und auch wenn es sich bei besagtem Saft eher um eine Mischung aus Zuckerwasser und künstlichen Aromen als um tatsächlichen O-Saft handelt, befülle ich einen grauen Pappbecher mit der gelben Plörre und kehre wieder an meinen Platz zurück.

Die hustende, übergewichtige Mittfünfzigerin ist zwischenzeitlich in die Pneumologie abkommandiert worden und ihr Platz in unserer feudalen Kliniklobby wird jetzt von einem jungen Anzugträger okkupiert. Er lächelt ein seelenloses Hollywood-Lächeln und der Blick, der durch das High Index- Glas seiner Gucci- Brille schießt, verrät deutliches Unbehagen. Das ist nicht weiter verwunderlich, weil der gute Mann erstmal den Baumstamm aus seinem Yuppie-Arsch ziehen müsste, um sich zwischen den hier anwesenden, erlesenen Dornen im Auge des deutschen Gesundheitsamtes wohlfühlen zu können. »Du bist ganz sicher ›Sohn‹ von Beruf.« denke ich grimmig und dann wende ich mich wieder dem Wesentlichen zu:

Ich habe eine Mission. Diese Mission sitzt links neben mir, duftet nach einer Mischung aus Schnaps und Pisse und ist offensichtlich kurz vorm Durchdrehen. Ich hole tief Luft, setze mein strahlendstes Honigkuchenpferdgrinsen auf und reiche dem Mann den Pappbecher. »Hier!«, raune ich leise und ich werfe ihm einen konspirativen Blick zu. Er zuckt zusammen und mustert mich fragend. »Screwdriver!«, erkläre ich verheißungsvoll. Der Mann umklammert den Pappbecher mit zitternden Händen und starrt in die gelbe Plörre. »Ist sogar gekühlt und die Mischung knallt ordentlich! Verlass`dich drauf.«

Für einen Moment lang frage ich mich, ob er meinen Täuschungsversuch bemerkt und was passiert, wenn er es tut, aber die Dankbarkeit in seinem Blick belehrt mich eines Besseren. – Es scheint beinahe so, als würde die Aussicht auf einen ordentlichen, eiskalten Screwdriver Inseln aus Licht in seine trüben Augen malen.

Er leert den Pappbecher in einem Zug und ein zufriedener Rülpser tropft von seinen rissigen Lippen. »Schullijung.«, lallt er und fährt sich beschämt durchs Gesicht. Mir ist vollkommen klar, dass meine Methode aus psychologischer Sicht ziemlich grenzwertig ist. Man sollte einen Süchtigen eigentlich von seinem Stoff ablenken, anstatt seine kaputten Gehirnzellen zu verscheißern und ihm billigen Orangensaft als einen Wodkacocktail zu verkaufen, aber – ganz ehrlich: Dieser Mann hier neben mir befindet sich auf einem sinkenden Schiff und das weiß er ganz genau. Und…wenn man sich auf einem sinkenden Schiff befindet, dann ist es zu spät für Ablenkung. Wenn man sich auf einem sinkenden Schiff befindet, dann kann man nur noch versuchen in Würde zu ertrinken und es handhaben wie die Herrschaften auf der Titanic: Wenn man sich auf einem sinkenden Schiff befindet, dann gibt’s Begleitmusik zum Absaufen.

Ablenken kann er sich immer noch. Und zwar dann, wenn er das Delirium tremens überlebt hat und von der Intensivstation in den Entzug und vom Entzug in die Entwöhnung überwiesen worden ist. Erstmal fährt er am besten, wenn seine Fantasie aus den weißen Mäusen, die er in nicht allzu ferner Zukunft sehen wird, ein paar fluffige Marshmallows macht. Erstmal muss er überleben, und wenn’s ums Überleben geht, dann spielt das ›Wie‹ keine Rolle mehr. Hauptsache es funktioniert und seine sichtlich entspannte Körperhaltung verrät mir, dass mein kleiner Trick definitiv funktioniert hat… Sein Kopf lehnt an meiner Schulter, die Hände haben für einen Moment lang aufgehört zu zittern, der leere Pappbecher fällt mir vor die Füße und ich fühle mich, als hätten wir gerade eben die letzten zwei Plätze im Rettungsboot ergattert…

Die abschätzigen Blicke der übrigen Anwesenden sind nicht mehr als ein Relikt aus einer fremden Realität, und als mein neuer Freund leise zu schnarchen beginnt, da habe ich fast vergessen, warum ich wirklich hier bin. Der Yuppie zeigt mir den Vogel und fummelt nervös an seinem IPhone herum. Ich hole ein vollgerotztes Taschentuch aus meiner Hosentasche und wische meinem neuen Freund vorsichtig den Sabber aus seinen Mundwinkeln. Von irgendwoher höre ich eine Frauenstimme meinen Namen rufen: »Frau Vorsmann bitte in Behandlungsraum 3.« Es dauert eine Weile, bis ich realisiere, dass ich die Kliniklobby nun verlassen muss und das selige Grinsen meines schnarchenden Nachbarn verleiht mir eine Entspanntheit, die unangemessener nicht sein könnte. Aber das ist unwichtig. Wichtig sind in diesem Moment nur drei Worte: »WE WILL SURVIVE«

Urlaub im Wartezimmer

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Arztbesuche sind ja grundsätzlich eine unangenehme Angelegenheit. Und wenn der eigene Organismus dermaßen rumzickt, dass der nette, grauhaarige Hausarzt an der Ecke massiv überfordert ist, dann artet ein „Kommen Sie morgen früh mal zur Blutentnahme“ gut und gerne mal in eine Tour durch die gesamte Berliner Ärztelandschaft aus. Die Tatsache, dass diese Tour für Privatpatienten gratis ist, ist zwar nicht wirklich tröstlich, aber wenn die Blutwerte Amok laufen und das ratlose Gesicht des netten, grauhaarigen Hausarztes unweigerlich deutlich macht, dass die folgende Nacht eine schlaflose Nacht werden wird, dann wird man für gewöhnlich sehr genügsam.

Immer dann, wenn ein gesunder Optimismus gänzlich unangebracht ist, braucht man ihn am nötigsten und als ich binnen einer Woche von meinem netten, grauhaarigen Hausarzt zu einem Nephrologen, vom Nephrologen zu einem Gastroenterologen, vom Gastroenterologen zum Endokrinologen und vom Endokrinologen schließlich ins Krankenhaus überwiesen wurde, musste ich feststellen, dass Realitätsflucht durchaus sinnvoll sein kann…

Um die unerträgliche Frage danach, wie Radieschen von unten aussehen und die ebenso unerträgliche Vorstellung von kalter Friedhofserde auf meiner Haut erträglich zu machen, beschloss mein Bewusstsein kurzerhand Urlaub zu machen und es verabschiedete sich mit einem Last Minute Ticket nach ‚Optimismus Island‘.
Wenn du auf ‚Optimismus Island‘ Urlaub machst, dann kommt die drei Monate alte Ausgabe der ‚InTouch‘, die neben einer ebenso alten ‚Brigitte‘- Ausgabe auf dem großen Holztisch in der Mitte des Wartezimmers liegt, einer literarischen Offenbarung gleich. Auf ‚Optimismus Island‘ verwandelt sich das überfüllte Urban Krankenhaus in Neukölln in eine Luxusabsteige, die das Chateau Marmont wie eine Besenkammer aussehen lässt…

*
Nachdem ich die ausliegende Wartezimmer – Lektüre ausgiebig studiert habe, versuche ich das geistlose Geschreibsel über fehlgeschlagene Beauty-OPs und Modetrends die ungefähr so haltbar wie eine Milchtüte in der Sonne sind, als eine Art soziokulturelle Studie über den Werteverfall in den USA zu betrachten und ich fühle mich gleich besser. Wenn man sich schon den Luxus eines ausgedehnten Urlaubes auf ‚Optimismus Island‘ leistet, dann darf die passende Urlaubslektüre selbstverständlich nicht fehlen. Links neben mir hat eine übergewichtige Mittfünfzigerin platzgenommen und ihr röchelnder Husten vermischt sich mit dem der übrigen Virenmutterschiffe, die im Sekundentakt den Raum frequentieren. In meinem Kopf erklingt die verzerrte Stimme der ‚Warp Brothers‘ und der Mantra-mässige Slogan ihres Acid-House Hits wird Eins mit dem Hustenbeat: „WE WILL SURVIVE!“

*
Ich habe meinen desolaten Gesundheitszustand fast schon erfolgreich aus meiner Wahrnehmung verdrängt, als ein ziemlich lautstarkes Zwiegespräch zwischen einer Krankenschwester und einem neu eingetroffenen Patienten meine Aufmerksamkeit fordert. Der Mann ist vollkommen desorientiert. Unter seiner furchigen Gesichtshaut schimmert ein Spinnennetz aus dünnen, tiefroten Äderchen und seine Augenäpfel erstrahlen in einem eitrigen Gelb. Die Beharrlichkeit mit der er sich an eine halbleere Wodkaflasche klammert ist so erschütternd, dass ich mich fühle, als hätte ich einen heißen Stein verschluckt. Der Mann wimmert, als die Krankenschwester ihm behutsam die Flasche Fusel entwendet und plötzlich lächelt er mich an. Es ist als würde man einen Leichnam in seinem Sarg grinsen sehen und mein Urlaub auf ‚Optimismus Island‘ findet ein jähes Ende. Süchtige erkennen einander und auch wenn ich seit über einem Jahr clean bin, beginnt ein tiefes Mitgefühl meinen Körper zu fluten. In seinem Lächeln liegt die unwiederrufliche Erkenntnis, dass das Leben ihm in diesem Moment die rote Arschkarte zeigt und als die Krankenschwester mitsamt der Wodkaflasche das Wartezimmer verlässt, setze ich mich unvermittelt neben ihn. Ich überlege kurz, ob ich ihm von ‚Optimismus Island‘ erzählen soll, verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Er ist viel zu sehr mit den Promille, die in seinem Blutkreislauf fangen spielen, beschäftigt und würde sich sicherlich nicht auf meine kleine Fantasiereise einlassen. Außerdem möchte ich nicht das meine Hilfsbereitschaft am Ende dafür sorgt, dass mir auf meine internistischen Probleme auch noch neurologische obendrauf diagnostiziert werden. Ich habe keine Lust vom Krankenhaus schnurstraks in die geschlossene Psychiatrie verlegt zu werden. Aber ich habe eine andere Idee. Die ist zwar auch unkonventionell, plakatiert den Sprung in meiner Schüssel allerdings nicht ganz so offensichtlich wie die ‚Optimismus Island‘ – Nummer…

(to be continued)

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The Berlin Diaries: Feel

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FEEL

„Es kotzt mich an!“, keife ich wütend und ich knalle das hölzerne Schneidebrettchen extra laut auf die Küchenablage, um meiner Aussage den nötigen Nachdruck zu verleihen. Das Tageslicht rieselt am Fenster hinab anstatt es zu durchdringen und ich spüre Jamies fragenden Blick in meinem Rücken. Er lehnt in der Tür und als mein nagelneues Küchenmesser kurzen Prozess mit einer gigantischen Gemüsezwiebel macht, da schlendert er betont lässig in den Raum hinein und lässt sich am Küchentisch nieder. „Was ’n los?“ Seine Stimmlage bekundet völliges Desinteresse und dennoch stehe ich kurz davor ihn in die Slums meines Herzens zu entführen und ihm Dinge zu erzählen, die er vermutlich weder versteht noch hören möchte. Die frisch geschlachtete Gemüsezwiebel rieselt gemeinsam mit ein paar Chillischoten in die Teflonpfanne auf dem Herd und ein lautes Zischen ertönt, als das heiße Öl die ersten Zutaten des nahenden Abendessens Willkommen heißt. Ich drehe mich um und versinke in Jamies großen, graugrünen Augen. Er zieht wieder mal seine Welpenschnute und irgendwie verwandelt dieser Blick meine Wut postwendend in eine tiefe Traurigkeit.

„Weinst du?“
„Nee…das sind die Zwiebeln.“ lüge ich und Jamie fixiert mich weiterhin mit diesem Dackelblick, der Gletscher zum schmelzen bringt.
Ich senke den Kopf und ziehe Rotz hoch. „Weisst du…“ Meine linke Hand wischt theatralisch über den verlaufenen Mascara unter meinen brennenden Augen. „Ich habe das Gefühl, dass sich kein Arsch für meine Arbeit interessiert. Ich meine, ob ich eine neue Kolumne geschrieben habe, oder ob in China ’n Sack Reis umfällt – das hat doch genaugenommen dieselbe Wichtigkeit. Und…ganz ehrlich: es will nicht in meinen Kopf, dass irgendeine Hausfrau aus der britischen Provinz mit wirklich grenzdebilem Softporn auf Groschenroman – Niveau ein Vermögen verdient, während ich Stunden damit zubringe an meinem Schreibstil zu feilen.“ Ich schniefe und ramme die silbrig schimmernde Klinge des Küchenmessers grobschlächtig in ein großes Stück Putenbrust. „Mich nimmt einfach niemand ernst.“ sage ich, mehr zu mir selbst als zu Jamie, und ich höre ihn tief und bedächtig einatmen. „Das könnte daran liegen, dass du dich selbst nicht ernst nimmst, Süße.“ Seine Aussage schießt wie ein Pfeil durch die verqualmte Luft und bohrt sich zielsicher in meinen verkrampften Rücken.
Volltreffer!
Danke schön, du Arschloch! Kannst du nicht ausnahmsweise mal sagen, was ich hören will?! Kannst du mich nicht einfach ein bisschen bemitleiden und mir erklären, dass du meine Arbeit großartig findest und das die Welt einfach ungerecht ist?! – Ungerecht und dumm und qualitätsresistent…
Ich spreche meine Gedanken nicht aus, sondern kümmere mich darum, dass sich das große Stück Putenbrust mit den glasierten Zwiebeln und den Chillies anfreundet. In diesem Fall ist Schweigen die beste Vertreidigung. In diesem Fall ist Schweigen das einzige Statement, welches Jamies rationalen Gleichmut ausser Kraft setzen und das schlechte Gewissen in ihm auf den Plan rufen kann. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und ich weiß, dass sich hinter Jamies kompakter Sachlichkeit eine Oase des Mitgefühls verbirgt. Tief in seinem Innersten ist er so weich und mild wie ein Stück junger Gouda und mein Schweigen soll ihn dazu bringen, den Gouda auszupacken, damit sich mein ausgehungertes Ego an ihm satt essen kann. Aber es geschieht nichts dergleichen…

Die Küche versinkt in einer zähflüssigen Stille, die lediglich von dem Gebrutzel des werdenen Abendessens gestört wird. Als ich mich zu Jamie umdrehe und ihn dabei beobachte, wie er seelenruhig in seinen haselnussbraunen Locken herumkratzt, da entlädt sich meine Wut mit einem Knall der so gewaltig ist, dass Hiroshima daneben wie ein Flopfurz klingt. Die stoische Gelassenheit, mit der mein Freund auf meine Probleme reagiert, verletzt mich zutiefst. Ich habe das Gefühl, dass er die existenzielle Krise, in der ich mich fraglos befinde, zu einem Luxusproblem degradiert. Oder – schlimmer noch: zu einer divenhaften, prämenstruellen Laune!
„Ich nehme mich sehr wohl ernst und offenbar ist genau das mein Problem!“ schreie ich und Jamie grinst amüsiert. „Vielmehr…“ ich stocke und muss kurz nachdenken. „Vielmehr nehme ich meine Arbeit ernst, aber das reicht offenbar vorne und hinten nicht. Ich könnte mich ja auch so richtig schön zur Nutte machen und irgendwelche substanzlosen, beschissen formulierten Sexgeschichten auf Talkshowniveau schreiben. Vermutlich wäre ich dann erfolgreich. Aber…“ Ich bewaffne mich mit dem Pfannenheber, um das schmorgelnde Stück Pute zu wenden, ehe ich mit durchdringender Stimme fortfahre: „…wenn ich das tun würde, DANN würde ich mich nicht ernst nehmen! Und du…“ – Ich deute mit dem Pfannenheber anklagend in Jamies Richtung und ignoriere die sämige Mischung aus angebranntem Fett und glasierten Zwiebeln, die direkt vor meinen Pantoffeln auf die Fliesen tropft. – „Du kommst mir jetzt bloß nicht auf die ‚Jeder Künstler hat mal ’ne Sinnkrise‘ – Tour! Ich weiß genau, was du jetzt denkst und ich find’s scheiße, dass du meine Probleme entweder relativierst oder als temporären Amoklauf eines überlasteten Schriftsteller-Gehirns degradierst. Es ist anstrengend, verstehst du?! Es ist anstrengend und unsagbar frustrierend! Es ist so dermaßen anstrengend und frustrierend, dass ich in der vergangenen Woche Stunden vor dem verstrahlten Weiß des leeren Word-Dokumentes gesessen habe. Ich bin so verdammt verunsichert, dass ich nicht mehr weiß, worüber ich schreiben soll. Ich finde mich einfach nicht geil genug, um…“ Jamie ist aufgestanden und nimmt mir behutsam den Pfannenheber aus der Hand. „Ganz genau!“ unterbricht er mich und die plötzliche Sanftmütigkeit in seiner Stimme setzt meinem persönlichen Hiroshima der verbalen Selbstzerfleischung ein abruptes Ende. Für einen Moment lang scheint die Zeit stillzustehen und ich spüre seinen Atem auf meinen vor Zorn glühenden Wangen. Er riecht nach Tabak und gerösteten Kaffeebohnen. „Du findest dich definitiv nicht geil genug.“ Seine Feststellung klingt seltsam neutral, aber Jamies Blick ist alles andere als neutral. „Wie kannst du nur?!“ Meine Stimme ist so schrill, dass ich mir ernsthafte Sorgen um die Champagnerflöten aus Moranoglas mache, die neben der Spüle auf der Ablage stehen. Aber wundersamerweise halten sie den Schallwellen stand.
Wie kannst du in einem solchen Moment an Sex denken?! Ich fasse es nicht! ‚Respekt‘ existiert in deinem Wortschatz wohl nicht, du geistlose, schwanzgesteuerte Entschuldigung für ein menschliches Wesen…
Ich sage nichts, sondern senke stattdessen fassungslos den Kopf und ziehe die Nase hoch. Jamies Gesicht kommt näher und ich spüre, wie sich der Anflug eines Lächelns auf meinen Lippen manifestieren will, aber ich presse sie aufeinander, um diese eindeutige Geste der Kapitulation im Keim zu ersticken.
So nicht, mein Lieber! Was glaubst du eigentlich…
Seine warmen Hände gleiten unter mein verwaschenes Amplified-Shirt und als ich seine feuchten Lippen auf meinen spüre, weiß ich, dass ich verloren habe.

*

Zwei Stunden später ist die Putenbrust zu einem tiefschwarzen Stück Kohle mutiert und ein wallender Rauchteppich senkt sich auf unsere nackten Körper hinab. Mein Kopf ruht auf Jamies Brust und ich höre seinem Herzschlag zu, während meine linke Hand mit seinem Ohrläppchen spielt. Sein Gesicht badet in heißem Schweiß und ein paar dunkelblonde Strähnen kleben auf seiner Stirn wie die Tentakeln eines Minitintenfisches. Auf seinen Lippen haftet ein selbstzufriedenes Grinsen und die Nachwirkungen des wohl galaktischsten Liebesaktes meines bisherigen Lebens tauchen mein Innerstes in tiefes Schweigen.

Ein paar Minuten später richtet Jamie sich auf und er mustert mich mit flammendem Blick. Mein Gehirn sucht verzweifelt nach den wüsten Beschimpfungen, die ich Jamie in diesem Moment unbedingt an den Kopf werfen möchte, aber mein Denkapparat hat sich offenbar gänzlich in ein rosarotes Vakuum postkoitaler Glücksseligkeit verabschiedet. Außer einem Seufzer, dessen Klangfarbe von allumfassender Zufriedenheit kündet, bringe ich keinen Ton heraus. „Was ich dir übrigens noch sagen wollte…“ beginnt Jamie schließlich mit fester Stimme und das Feuer in seinen Augen ist noch immer nicht erloschen. Ich hebe den Kopf und beobachte gespannt, wie er aufsteht, in seine ausgebleichten South Park – Boxershorts schlüpft und sich im Türrahmen nochmal zu mir umdreht. „Die Welt ist manchmal ganz schön ungerecht und dumm und qualitätsresistent aber ich finde deine Arbeit wirklich großartig.“ Ich muss schlucken und mit einem Male weiß ich ganz genau, wovon meine nächste Kolumne handeln wird. Die kreative Wüste der vergangenen Wochen scheint einer schillernden Oase exquisitester Erzählkunst gewichen zu sein. „Danke.“ flüstere ich vielsagend und während Jamie das Badezimmer okkupiert und den Refrain von U2’s ‚Beautiful Day‘ vor sich hin trällert, zünde ich mir eine Zigarrette an, fahre meinen Computer hoch und beginne zu schreiben:

“ „Es kotzt mich an!“, keife ich wütend und ich knalle das hölzerne Schneidebrettchen extra laut auf die Küchenablage, um meiner Aussage den nötigen Nachdruck zu verleihen…“

Soulmates Never Die (Teil 2)

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SOULMATES NEVER DIE
(Teil 2)

Alis Augen sind schwärzer als Schwarz und unsere Blicke kämpfen einen Kampf, der so schweißtreibend ist, dass das Glas der Salattheke beschlägt. Ich finde diese besondere Form des non verbalen Gespräches immer überaus ergiebig und Ali ist ziemlich versiert, wenn es darum geht, sich mit Blicken zu batteln. Nach gut fünf Minuten hat er mich soweit, dass ich mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen kann und sein triumphierendes Schweigen wird von einer ungewöhnlich tiefen Frauenstimme aus dem Off zerissen. Ich fahre herum und die Person, die keine zwei Meter vor mir lässig im Türrahmen lehnt, lächelt ein Lächeln, dass jedem Mann sogar aus zwanzig Metern Entfernung noch direkt in die Hose fahren dürfte. Ihre Haut ist mandelbraun und ihre afroamerikanische Lockenpracht umrahmt ihre weichen Gesichtszüge wie ein Heiligenschein…
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Lindsay und mich verbindet eine ganz besondere Freundschaft. Wir sehen uns täglich im Fitnessstudio und stehen tapfer unsere Frau in der nimmerendenden Schlacht zwischen Kalorien und Körperkult. Wenn Blut dicker als Wasser ist, so ist Schweiß dicker als Blut und das Band des gegenseitigen Verständnisses, welches wir in den heiligen Hallen des McFit an der Heinrich-Heine Straße geknüpft haben, könnte nicht einmal von ’ner Kettensäge durchtrennt werden. In den USA bezeichnet man Menschen wie uns als ‚permanent residents‘. Das mag daran liegen, dass die Amis für so ziemlich alles irgendeine cool klingende, trendige Szenebezeichnung haben. Wirklich treffend sind diese Bezeichnungen allerdings eher selten und sie fungieren meistens als komprimierter Weichzeichner für eine unbequeme Realität, die im konservativen Kommunikationsprofil der ‚United States of Superstardom‘ nichts zu suchen hat. Lindsay und ich…wir residieren nicht auf unseren Crosstrainern! Für Lindsay und mich sind die Kalorienverbrennungsmaschinen im McFit an der Heinrich-Heine Straße die Diktatoren, die uns Tag ein Tag aus in das Krisengebiet unseres implodierten Selbstbewusstseins abkommandieren. Die Muckibude ist keine Villa in den Hollywood Hills sondern eine Kaserne und wir…wir sind keine ‚Residents‘, sondern Soldaten.

Wir sind Flüchtlinge auf Lebenszeit.
Wir haben unsere zerbombte Kindheit überlebt und versuchen auf dem Laufband vor den Narben, welche sie hinterlassen hat, davonzulaufen.
Wenn das ‚Innen‘ schon irreperabel beschädigt ist, so können wir wenigstens versuchen das ‚Außen‘ irgendwie zu reparieren…

Die ‚Essstörungsbranche‘ ist ein ziemlich anstrengendes Betätigungsfeld. Es ist die brotloseste Kunst der brotlosen Künste und Frau Dr. Bulimia Nervosa ist die beschissenste Arbeitgeberin aller Zeiten. Wenn man bei ihr angestellt ist, dann erkennt man sich untereinander. Lindsay und ich…wir haben keine fünf Minuten gebraucht, um zu kapieren, dass wir den selben Beruf ausüben und – auch wenn wir uns insgeheim nach einer Umschulung sehnen – so sind wir uns einer schmerzlichen Tatsache stets bewusst: Selbst der mieseste Job der Welt ist immer noch besser als die Arbeitslosigkeit.

Der Tag an dem Lindsay und ich zu Kollegen wurden, beginnt meine Erinnerung zu fluten:

Es ist ein brüllend heißer Spätsommernachmittag. Ich lehne rauchend an der Wand und bereite mich mental auf den folgenden Cardiomarathon vor. Die Schokomuffins und die XXL-Portion Mandelkekse, die mein ungehorsames Nervensystem in der vergangenen Nacht eingefordert hat, scheinen sich ohne Umwege direkt auf meinen Hüften niedergelassen zu haben. Ich öffne meine zweite Dose Red Bull Sugarfree, um meinen gewittrigen Gedanken Flügel zu verleihen, als sie zielstrebig auf den Eingang der heiligen Hallen zusteuert. Irgendwie treffen sich unsere Blicke und sie lächelt kokett. „Haste mal Feuer?“ Ich nicke und wenige Sekunden später stehen wir nebeneinander vor dem Fitnessstudio und tun, was Sportler eigentlich nicht tun, kurz bevor sie mit ihrem Training beginnen: wir rauchen…
Und wir werden mit allerlei Blicken bedacht – Blicke, die von Irritation über Mitleid bishin zu offensichtlichem Unmut, so ziemlich die gesamte Bandbreite des menschlichen Gefühlsspektrums abdecken. Wir brauchen keine Worte, um zu wissen, dass wir im selben Boot sitzen und das wissende Nicken, mit dem wir uns begrüßen, kurz bevor wir auf den Cardiomaschinen heroisch in die Schlacht reiten…dieses Nicken lässt mich immer an ‚Fight Club‘ denken. Natürlich liebt Lindsay diesen Film ebenso wie ich es tue und manchmal (wenn wir genug Luft für eine bruchstückhafte Konversation übrig haben, während wir in unserem eigenen Schweiß ertrinken) fragt sie mich, woran es liegt, dass sie mich von allen ihren portionierten Freunden am meisten mag. Ich habe bis heute keine befriedigende Antwort auf diese Frage, aber es geht mir umgekehrt genauso und vielleicht genügt dieses Wissen, um weiterzumachen. Gemeinsam kämpft es sich eben leichter als alleine.

Irgendwie ist es immer unfassbar tröstlich für mich, wenn Lindsay mir ein „Pass auf dich auf!“ entgegenschleudert, ehe sie nach getaner Arbeit in der Umkleide verschwindet. Vermutlich ist das so, weil sich in der Kiste dieser ungewöhnlichen Verabschiedungsfloskel ein Schatz befindet, der nur für mich bestimmt ist. Ein Schatz der unfassbar wertvoll ist, weil ihm ein tiefes Verständnis innewohnt. Keine Erklärungen, kein überflüssiger Smalltalk, keine Fragen, sondern einfach nur die pure Essenz des schweigenden Verstehens…
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Ali mustert Lindsay stirnrunzelnd. Ihr selbstbewusstes Auftreten scheint ihn zu verunsichern. Offensichtlich muss er sich erstmal von ihrem Lächeln erholen. „Wenn der wüsste…“ denke ich und Lindsay nickt mir vielsagend zu. „Gehen wir?“ fragt sie mit einem Blick in meine Richtung. „Gehen wir.“ antworte ich.