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FEEL

„Es kotzt mich an!“, keife ich wütend und ich knalle das hölzerne Schneidebrettchen extra laut auf die Küchenablage, um meiner Aussage den nötigen Nachdruck zu verleihen. Das Tageslicht rieselt am Fenster hinab anstatt es zu durchdringen und ich spüre Jamies fragenden Blick in meinem Rücken. Er lehnt in der Tür und als mein nagelneues Küchenmesser kurzen Prozess mit einer gigantischen Gemüsezwiebel macht, da schlendert er betont lässig in den Raum hinein und lässt sich am Küchentisch nieder. „Was ’n los?“ Seine Stimmlage bekundet völliges Desinteresse und dennoch stehe ich kurz davor ihn in die Slums meines Herzens zu entführen und ihm Dinge zu erzählen, die er vermutlich weder versteht noch hören möchte. Die frisch geschlachtete Gemüsezwiebel rieselt gemeinsam mit ein paar Chillischoten in die Teflonpfanne auf dem Herd und ein lautes Zischen ertönt, als das heiße Öl die ersten Zutaten des nahenden Abendessens Willkommen heißt. Ich drehe mich um und versinke in Jamies großen, graugrünen Augen. Er zieht wieder mal seine Welpenschnute und irgendwie verwandelt dieser Blick meine Wut postwendend in eine tiefe Traurigkeit.

„Weinst du?“
„Nee…das sind die Zwiebeln.“ lüge ich und Jamie fixiert mich weiterhin mit diesem Dackelblick, der Gletscher zum schmelzen bringt.
Ich senke den Kopf und ziehe Rotz hoch. „Weisst du…“ Meine linke Hand wischt theatralisch über den verlaufenen Mascara unter meinen brennenden Augen. „Ich habe das Gefühl, dass sich kein Arsch für meine Arbeit interessiert. Ich meine, ob ich eine neue Kolumne geschrieben habe, oder ob in China ’n Sack Reis umfällt – das hat doch genaugenommen dieselbe Wichtigkeit. Und…ganz ehrlich: es will nicht in meinen Kopf, dass irgendeine Hausfrau aus der britischen Provinz mit wirklich grenzdebilem Softporn auf Groschenroman – Niveau ein Vermögen verdient, während ich Stunden damit zubringe an meinem Schreibstil zu feilen.“ Ich schniefe und ramme die silbrig schimmernde Klinge des Küchenmessers grobschlächtig in ein großes Stück Putenbrust. „Mich nimmt einfach niemand ernst.“ sage ich, mehr zu mir selbst als zu Jamie, und ich höre ihn tief und bedächtig einatmen. „Das könnte daran liegen, dass du dich selbst nicht ernst nimmst, Süße.“ Seine Aussage schießt wie ein Pfeil durch die verqualmte Luft und bohrt sich zielsicher in meinen verkrampften Rücken.
Volltreffer!
Danke schön, du Arschloch! Kannst du nicht ausnahmsweise mal sagen, was ich hören will?! Kannst du mich nicht einfach ein bisschen bemitleiden und mir erklären, dass du meine Arbeit großartig findest und das die Welt einfach ungerecht ist?! – Ungerecht und dumm und qualitätsresistent…
Ich spreche meine Gedanken nicht aus, sondern kümmere mich darum, dass sich das große Stück Putenbrust mit den glasierten Zwiebeln und den Chillies anfreundet. In diesem Fall ist Schweigen die beste Vertreidigung. In diesem Fall ist Schweigen das einzige Statement, welches Jamies rationalen Gleichmut ausser Kraft setzen und das schlechte Gewissen in ihm auf den Plan rufen kann. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und ich weiß, dass sich hinter Jamies kompakter Sachlichkeit eine Oase des Mitgefühls verbirgt. Tief in seinem Innersten ist er so weich und mild wie ein Stück junger Gouda und mein Schweigen soll ihn dazu bringen, den Gouda auszupacken, damit sich mein ausgehungertes Ego an ihm satt essen kann. Aber es geschieht nichts dergleichen…

Die Küche versinkt in einer zähflüssigen Stille, die lediglich von dem Gebrutzel des werdenen Abendessens gestört wird. Als ich mich zu Jamie umdrehe und ihn dabei beobachte, wie er seelenruhig in seinen haselnussbraunen Locken herumkratzt, da entlädt sich meine Wut mit einem Knall der so gewaltig ist, dass Hiroshima daneben wie ein Flopfurz klingt. Die stoische Gelassenheit, mit der mein Freund auf meine Probleme reagiert, verletzt mich zutiefst. Ich habe das Gefühl, dass er die existenzielle Krise, in der ich mich fraglos befinde, zu einem Luxusproblem degradiert. Oder – schlimmer noch: zu einer divenhaften, prämenstruellen Laune!
„Ich nehme mich sehr wohl ernst und offenbar ist genau das mein Problem!“ schreie ich und Jamie grinst amüsiert. „Vielmehr…“ ich stocke und muss kurz nachdenken. „Vielmehr nehme ich meine Arbeit ernst, aber das reicht offenbar vorne und hinten nicht. Ich könnte mich ja auch so richtig schön zur Nutte machen und irgendwelche substanzlosen, beschissen formulierten Sexgeschichten auf Talkshowniveau schreiben. Vermutlich wäre ich dann erfolgreich. Aber…“ Ich bewaffne mich mit dem Pfannenheber, um das schmorgelnde Stück Pute zu wenden, ehe ich mit durchdringender Stimme fortfahre: „…wenn ich das tun würde, DANN würde ich mich nicht ernst nehmen! Und du…“ – Ich deute mit dem Pfannenheber anklagend in Jamies Richtung und ignoriere die sämige Mischung aus angebranntem Fett und glasierten Zwiebeln, die direkt vor meinen Pantoffeln auf die Fliesen tropft. – „Du kommst mir jetzt bloß nicht auf die ‚Jeder Künstler hat mal ’ne Sinnkrise‘ – Tour! Ich weiß genau, was du jetzt denkst und ich find’s scheiße, dass du meine Probleme entweder relativierst oder als temporären Amoklauf eines überlasteten Schriftsteller-Gehirns degradierst. Es ist anstrengend, verstehst du?! Es ist anstrengend und unsagbar frustrierend! Es ist so dermaßen anstrengend und frustrierend, dass ich in der vergangenen Woche Stunden vor dem verstrahlten Weiß des leeren Word-Dokumentes gesessen habe. Ich bin so verdammt verunsichert, dass ich nicht mehr weiß, worüber ich schreiben soll. Ich finde mich einfach nicht geil genug, um…“ Jamie ist aufgestanden und nimmt mir behutsam den Pfannenheber aus der Hand. „Ganz genau!“ unterbricht er mich und die plötzliche Sanftmütigkeit in seiner Stimme setzt meinem persönlichen Hiroshima der verbalen Selbstzerfleischung ein abruptes Ende. Für einen Moment lang scheint die Zeit stillzustehen und ich spüre seinen Atem auf meinen vor Zorn glühenden Wangen. Er riecht nach Tabak und gerösteten Kaffeebohnen. „Du findest dich definitiv nicht geil genug.“ Seine Feststellung klingt seltsam neutral, aber Jamies Blick ist alles andere als neutral. „Wie kannst du nur?!“ Meine Stimme ist so schrill, dass ich mir ernsthafte Sorgen um die Champagnerflöten aus Moranoglas mache, die neben der Spüle auf der Ablage stehen. Aber wundersamerweise halten sie den Schallwellen stand.
Wie kannst du in einem solchen Moment an Sex denken?! Ich fasse es nicht! ‚Respekt‘ existiert in deinem Wortschatz wohl nicht, du geistlose, schwanzgesteuerte Entschuldigung für ein menschliches Wesen…
Ich sage nichts, sondern senke stattdessen fassungslos den Kopf und ziehe die Nase hoch. Jamies Gesicht kommt näher und ich spüre, wie sich der Anflug eines Lächelns auf meinen Lippen manifestieren will, aber ich presse sie aufeinander, um diese eindeutige Geste der Kapitulation im Keim zu ersticken.
So nicht, mein Lieber! Was glaubst du eigentlich…
Seine warmen Hände gleiten unter mein verwaschenes Amplified-Shirt und als ich seine feuchten Lippen auf meinen spüre, weiß ich, dass ich verloren habe.

*

Zwei Stunden später ist die Putenbrust zu einem tiefschwarzen Stück Kohle mutiert und ein wallender Rauchteppich senkt sich auf unsere nackten Körper hinab. Mein Kopf ruht auf Jamies Brust und ich höre seinem Herzschlag zu, während meine linke Hand mit seinem Ohrläppchen spielt. Sein Gesicht badet in heißem Schweiß und ein paar dunkelblonde Strähnen kleben auf seiner Stirn wie die Tentakeln eines Minitintenfisches. Auf seinen Lippen haftet ein selbstzufriedenes Grinsen und die Nachwirkungen des wohl galaktischsten Liebesaktes meines bisherigen Lebens tauchen mein Innerstes in tiefes Schweigen.

Ein paar Minuten später richtet Jamie sich auf und er mustert mich mit flammendem Blick. Mein Gehirn sucht verzweifelt nach den wüsten Beschimpfungen, die ich Jamie in diesem Moment unbedingt an den Kopf werfen möchte, aber mein Denkapparat hat sich offenbar gänzlich in ein rosarotes Vakuum postkoitaler Glücksseligkeit verabschiedet. Außer einem Seufzer, dessen Klangfarbe von allumfassender Zufriedenheit kündet, bringe ich keinen Ton heraus. „Was ich dir übrigens noch sagen wollte…“ beginnt Jamie schließlich mit fester Stimme und das Feuer in seinen Augen ist noch immer nicht erloschen. Ich hebe den Kopf und beobachte gespannt, wie er aufsteht, in seine ausgebleichten South Park – Boxershorts schlüpft und sich im Türrahmen nochmal zu mir umdreht. „Die Welt ist manchmal ganz schön ungerecht und dumm und qualitätsresistent aber ich finde deine Arbeit wirklich großartig.“ Ich muss schlucken und mit einem Male weiß ich ganz genau, wovon meine nächste Kolumne handeln wird. Die kreative Wüste der vergangenen Wochen scheint einer schillernden Oase exquisitester Erzählkunst gewichen zu sein. „Danke.“ flüstere ich vielsagend und während Jamie das Badezimmer okkupiert und den Refrain von U2’s ‚Beautiful Day‘ vor sich hin trällert, zünde ich mir eine Zigarrette an, fahre meinen Computer hoch und beginne zu schreiben:

“ „Es kotzt mich an!“, keife ich wütend und ich knalle das hölzerne Schneidebrettchen extra laut auf die Küchenablage, um meiner Aussage den nötigen Nachdruck zu verleihen…“