Schlagwörter

, , ,

cats

SOULMATES NEVER DIE
(Teil 2)

Alis Augen sind schwärzer als Schwarz und unsere Blicke kämpfen einen Kampf, der so schweißtreibend ist, dass das Glas der Salattheke beschlägt. Ich finde diese besondere Form des non verbalen Gespräches immer überaus ergiebig und Ali ist ziemlich versiert, wenn es darum geht, sich mit Blicken zu batteln. Nach gut fünf Minuten hat er mich soweit, dass ich mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen kann und sein triumphierendes Schweigen wird von einer ungewöhnlich tiefen Frauenstimme aus dem Off zerissen. Ich fahre herum und die Person, die keine zwei Meter vor mir lässig im Türrahmen lehnt, lächelt ein Lächeln, dass jedem Mann sogar aus zwanzig Metern Entfernung noch direkt in die Hose fahren dürfte. Ihre Haut ist mandelbraun und ihre afroamerikanische Lockenpracht umrahmt ihre weichen Gesichtszüge wie ein Heiligenschein…
*
Lindsay und mich verbindet eine ganz besondere Freundschaft. Wir sehen uns täglich im Fitnessstudio und stehen tapfer unsere Frau in der nimmerendenden Schlacht zwischen Kalorien und Körperkult. Wenn Blut dicker als Wasser ist, so ist Schweiß dicker als Blut und das Band des gegenseitigen Verständnisses, welches wir in den heiligen Hallen des McFit an der Heinrich-Heine Straße geknüpft haben, könnte nicht einmal von ’ner Kettensäge durchtrennt werden. In den USA bezeichnet man Menschen wie uns als ‚permanent residents‘. Das mag daran liegen, dass die Amis für so ziemlich alles irgendeine cool klingende, trendige Szenebezeichnung haben. Wirklich treffend sind diese Bezeichnungen allerdings eher selten und sie fungieren meistens als komprimierter Weichzeichner für eine unbequeme Realität, die im konservativen Kommunikationsprofil der ‚United States of Superstardom‘ nichts zu suchen hat. Lindsay und ich…wir residieren nicht auf unseren Crosstrainern! Für Lindsay und mich sind die Kalorienverbrennungsmaschinen im McFit an der Heinrich-Heine Straße die Diktatoren, die uns Tag ein Tag aus in das Krisengebiet unseres implodierten Selbstbewusstseins abkommandieren. Die Muckibude ist keine Villa in den Hollywood Hills sondern eine Kaserne und wir…wir sind keine ‚Residents‘, sondern Soldaten.

Wir sind Flüchtlinge auf Lebenszeit.
Wir haben unsere zerbombte Kindheit überlebt und versuchen auf dem Laufband vor den Narben, welche sie hinterlassen hat, davonzulaufen.
Wenn das ‚Innen‘ schon irreperabel beschädigt ist, so können wir wenigstens versuchen das ‚Außen‘ irgendwie zu reparieren…

Die ‚Essstörungsbranche‘ ist ein ziemlich anstrengendes Betätigungsfeld. Es ist die brotloseste Kunst der brotlosen Künste und Frau Dr. Bulimia Nervosa ist die beschissenste Arbeitgeberin aller Zeiten. Wenn man bei ihr angestellt ist, dann erkennt man sich untereinander. Lindsay und ich…wir haben keine fünf Minuten gebraucht, um zu kapieren, dass wir den selben Beruf ausüben und – auch wenn wir uns insgeheim nach einer Umschulung sehnen – so sind wir uns einer schmerzlichen Tatsache stets bewusst: Selbst der mieseste Job der Welt ist immer noch besser als die Arbeitslosigkeit.

Der Tag an dem Lindsay und ich zu Kollegen wurden, beginnt meine Erinnerung zu fluten:

Es ist ein brüllend heißer Spätsommernachmittag. Ich lehne rauchend an der Wand und bereite mich mental auf den folgenden Cardiomarathon vor. Die Schokomuffins und die XXL-Portion Mandelkekse, die mein ungehorsames Nervensystem in der vergangenen Nacht eingefordert hat, scheinen sich ohne Umwege direkt auf meinen Hüften niedergelassen zu haben. Ich öffne meine zweite Dose Red Bull Sugarfree, um meinen gewittrigen Gedanken Flügel zu verleihen, als sie zielstrebig auf den Eingang der heiligen Hallen zusteuert. Irgendwie treffen sich unsere Blicke und sie lächelt kokett. „Haste mal Feuer?“ Ich nicke und wenige Sekunden später stehen wir nebeneinander vor dem Fitnessstudio und tun, was Sportler eigentlich nicht tun, kurz bevor sie mit ihrem Training beginnen: wir rauchen…
Und wir werden mit allerlei Blicken bedacht – Blicke, die von Irritation über Mitleid bishin zu offensichtlichem Unmut, so ziemlich die gesamte Bandbreite des menschlichen Gefühlsspektrums abdecken. Wir brauchen keine Worte, um zu wissen, dass wir im selben Boot sitzen und das wissende Nicken, mit dem wir uns begrüßen, kurz bevor wir auf den Cardiomaschinen heroisch in die Schlacht reiten…dieses Nicken lässt mich immer an ‚Fight Club‘ denken. Natürlich liebt Lindsay diesen Film ebenso wie ich es tue und manchmal (wenn wir genug Luft für eine bruchstückhafte Konversation übrig haben, während wir in unserem eigenen Schweiß ertrinken) fragt sie mich, woran es liegt, dass sie mich von allen ihren portionierten Freunden am meisten mag. Ich habe bis heute keine befriedigende Antwort auf diese Frage, aber es geht mir umgekehrt genauso und vielleicht genügt dieses Wissen, um weiterzumachen. Gemeinsam kämpft es sich eben leichter als alleine.

Irgendwie ist es immer unfassbar tröstlich für mich, wenn Lindsay mir ein „Pass auf dich auf!“ entgegenschleudert, ehe sie nach getaner Arbeit in der Umkleide verschwindet. Vermutlich ist das so, weil sich in der Kiste dieser ungewöhnlichen Verabschiedungsfloskel ein Schatz befindet, der nur für mich bestimmt ist. Ein Schatz der unfassbar wertvoll ist, weil ihm ein tiefes Verständnis innewohnt. Keine Erklärungen, kein überflüssiger Smalltalk, keine Fragen, sondern einfach nur die pure Essenz des schweigenden Verstehens…
*
Ali mustert Lindsay stirnrunzelnd. Ihr selbstbewusstes Auftreten scheint ihn zu verunsichern. Offensichtlich muss er sich erstmal von ihrem Lächeln erholen. „Wenn der wüsste…“ denke ich und Lindsay nickt mir vielsagend zu. „Gehen wir?“ fragt sie mit einem Blick in meine Richtung. „Gehen wir.“ antworte ich.