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Der Petitionator
Jetzt muss ich mich aber schon mal aufregen! Nein, verstehen Sie mich richtig: Ich muss das tun. Abregen kann ich mich ja dann immer noch. Aber davor rege ich mich erst einmal auf. Das ist mein brieflich verbrieftes Bürgerrecht, und das nutze ich aus! Denn eines muss ich sagen: Ich opponiere in aller Deutlichkeit! Das wird man ja wohl noch dürfen. Oder? Na also. Wenn man nicht mal mehr opponieren darf, dann ist man ja gar nix mehr, quasi entmenschlicht. Ein Tier sozusagen.
Also, wogegen opponiere ich? Ja, wogegen bloß? Gegen die vorherrschende Meinung natürlich. Würde die Meinung nicht vorherrschen, dann wär’ sie mir ja wurscht. Dann wüsste ich vermutlich gar nix von ihr. Aber wenn sie schon meint, vorherrschen zu müssen, dann muss die Meinung auch damit leben, dass gegen sie opponiert wird. Ja, bitteschön, ich habe doch diese Meinung nicht zum Vorherrschen gezwungen! Das hat sie sich schön selbst ausgesucht, und jetzt steht sie halt da in der Öffentlichkeit und muss sich der Opponierung stellen. Was? Ja, der Opposition auch, klar.
Worum’s geht? Ja, um die Sache mit dem … dem Verbot halt. Also meiner Meinung nach unerhört! Und die vorherrschende Meinung, die sagt: Jawohl! Grotesk, wenn Sie mich fragen. Dagegen wird man sich ja wohl noch äußern dürfen. Oder? Ich bitt’ Sie, in unserer modernen Welt, in Zeiten vom weltweiten Internetz, da ist der schweigsame Untertan eine aussterbende Gattung, wie der … Dings, der Dodo oder das Rebhuhn. Im Grunde ist er ja schon so gut wie tot. Ja, wenn der Thomas Mann gewusst hätt’, dass es eines Tages so einfach ist zu opponieren, hätt’ er das Buch nie geschrieben, also den „Untertan“, wenn Sie mich fragen. Wie bitte? Tun Sie nicht? Schön. Ich erzähl’s Ihnen trotzdem. Darf ich nämlich. Das ist mein verbrieftes Bürgerrecht. Dagegen haben Sie nicht zu opponieren!
Und übrigens: Ich habe auch schon petitioniert, beziehungsweise gezeichnet. Mitgezeichnet. Also eine Petition unterschrieben gegen die vorherrschende Meinung, gegen das Dings … Verbot halt. Hab ich im Internetz gefunden, hab’s durchgelesen und gleich unterzeichnet. Das wäre doch gelacht, wenn ich den gesellschaftlichen Wandel nicht eigenhändig herbeipetitionieren könnte. Ha! Der moderne Bürger ist schließlich mündig. Vollmündig sozusagen. Wobei ich ja eher noch zu den Zaghaften gehöre. Mein Freund Andi, der geht die Sache ganz anders an. Aber hallo! Unter zehn unterzeichneten Petitionen am Tag geht bei dem nix. Egal, gegen welche vorherrschende Meinung es gerade geht: Der Andi petitioniert, als gäb’s kein Morgen. Ja, was hat der nicht schon alles unterzeichnet: Gegen … Dings … na, was war’s …Tempolimit auf der Autobahn. Ja mei, der Andi fährt halt gern schnell, das ist sein bürgerlich verbrieftes Bürgerrecht. Und die vorherrschende Meinung zu diesem Thema ist halt die von den Spaßbremsen, die bei Tempo hundert schon einen Herzkollaps kriegen. Aber von solchen lässt der Andi sich doch nicht eingrenzen! Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, quasi im Zeitalter der Information. Und der Andi, das ist halt ein echter Idealistiker. Der weiß, was er will und dafür kämpft er dann auch. Wogegen hat der jetzt noch alles petitioniert? Ich glaub, gegen Robbenfischerei noch. Ja, ein Herz für Tiere hat er, der Andi. Und informieren tut er sich auch, der petitioniert nicht bloß so! Der liest sich beispielsweise so Blocks im weltweiten Internetz durch, da wo es um streunende … Vögel geht oder was weiß ich. Und dann unterzeichnet er. Ein guter Mensch ist er schon, muss ich wirklich sagen. Der gibt in der Kneipe schon auch mal ein Trinkgeld.
Aber grad gestern, des muss ich jetzt noch erzählen, da war der Andi mit seinen Nerven ziemlich am Ende. Ein Frack quasi. Warum, fragen Sie? Ja, des ist eine lustige Geschichte. Erzählt er mir also, dass er frühmorgens nichtsahnend sein Postfach aufschließt – also das elektronische Postfach – und dann quillt das über vor Petitionen! Petitionen weit und breit, mehr als ein Mensch am Tag lesen und unterzeichnen kann! Fünfzehn Stück hat er geschafft, dann ist ihm der Kamm geschwollen. Mei, war der sauer! Er hat dann zu mir gesagt, jetzt muss er sich schon mal aufregen, des wird man ja wohl noch dürfen. Und jetzt startet er als nächstes eine Petition gegen zu viele Petitionen. Ob ich unterzeichne? Na, das glaub ich aber nicht. Wissen Sie, des ist vielleicht dem Andi seine vorherrschende Meinung – aber die muss ich ja nicht akzeptieren.
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